Welchen Einfluss haben staatliche Garantien auf die Risikoübernahme von Banken?

Forschungsbericht (importiert) 2006 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Autoren
Hakenes, Hendrik; Schnabel, Isabel
Abteilungen
Zusammenfassung
Forscher am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern argumentieren, dass Garantien bei den staatlich geschützten Banken entgegen der herkömmlichen Sichtweise nicht unbedingt zu einer Risikoerhöhung führen. Außerdem weisen sie auf einen risikosteigernden Effekt von Garantien bei den Wettbewerberbanken hin. Beide Effekte lassen sich empirisch belegen: Bei den Wettbewerberbanken ist eine deutliche Risikoerhöhung aufgrund von Garantien zu beobachten, jedoch nicht bei den geschützten Banken.

In Deutschland gehört fast die Hälfte des Bankensystems dem Staat. Dazu gehören die Landesbanken, die Sparkassen, die Landesbausparkassen und einige Hypothekenbanken. Dies ging bis vor kurzem einher mit einer vollständigen staatlichen Garantie der Verbindlichkeiten der öffentlich-rechtlichen Banken („Gewährträgerhaftung“) und einer Sicherung des Bestands der einzelnen Institutionen („Anstaltslast“). Diesen Umstand beklagen die Privatbanken seit Jahren, weil er den Wettbewerb im Bankensystem zu ihren Ungunsten verzerre. Tatsächlich hat auch die EU-Kommission die Gewährträgerhaftung und die Anstaltslast als unzulässige Beihilfen gemäß Artikel 87, Absatz 1 des EG-Vertrags eingestuft. Die Folge ist ein allmähliches Auslaufen dieser Garantien seit 2005 bis zum Jahre 2015.

Die wirtschaftspolitische Bedeutung der Garantieübernahme

Auch die wirtschaftswissenschaftliche Literatur sieht staatliche Garantien für Banken kritisch. Allerdings hat sie sich bislang weniger mit dem Einfluss solcher Garantien auf den Wettbewerb als mit ihrem Einfluss auf die Risiken im Banksektor beschäftigt. Eine erhöhte Risikoübernahme von Banken in Folge staatlicher Garantien kann die Stabilität des Bankensystems gefährden. Daher sind die Auswirkungen staatlicher Garantien auf die Risikoübernahme von Banken von großer wirtschaftspolitischer Bedeutung.

Das herkömmliche Argument besagt, dass Staatsgarantien die „Marktdisziplin“ schwächen und somit die geschützten Banken zu einer übermäßigen Risikoübernahme treiben. Hier wird der folgende Mechanismus angenommen: Grundsätzlich können die Gläubiger (also beispielsweise die Einleger) ihre Bank für zu hohe Risikoübernahme „bestrafen“, indem sie sich Risiken durch höhere Zinsen kompensieren lassen. Dies macht die Risikoübernahme aus Sicht der Bank weniger attraktiv und diszipliniert die Bank in ihrem Risikoverhalten. Unterliegt die Bank hingegen einer staatlichen Garantie, so müssen die Einleger keine Risikozuschläge verlangen, da sie das Risiko ja gar nicht selbst tragen, sondern es auf den Staat (das heißt, den Steuerzahler) abwälzen können. Der disziplinierende Effekt fällt also weg. Daher hat die Bank einen stärkeren Anreiz, Risiken einzugehen.

Neben den erwähnten expliziten Garantien gegenüber öffentlichen Banken, wie wir sie in Deutschland kennen, werden in der Literatur auch implizite Staatsgarantien diskutiert. Der wichtigste Fall einer solchen impliziten Garantie ist das so genannte „Too-big-to-fail“-Phänomen. Hierbei geht es um implizite Garantien gegenüber großen Banken. Diese entstehen dadurch, dass der Staat sich nicht glaubwürdig binden kann, eine insolvente Bank nicht zu unterstützen, wenn aus dem Zusammenbruch dieser Bank große gesamtwirtschaftliche Kosten entstünden. So erscheint es beispielsweise in Deutschland unwahrscheinlich, dass der Staat tatenlos zusähe, wenn die Deutsche Bank von einer Insolvenz bedroht wäre. Dies wird auch durch die historische Erfahrung belegt: In der großen Bankenkrise von 1931, die im Wesentlichen eine Krise der deutschen Großbanken war, erhielten alle vier Großbanken (Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft, Darmstädter und Nationalbank, Dresdner Bank und Commerz- und Privat-Bank) in erheblichem Umfang neues Kapital vom Staat, das die Insolvenz dieser Banken verhinderte. Die konventionelle Sichtweise besagt nun, dass die Aussicht auf eine derartige staatliche Unterstützung diese Banken zu einer erhöhten Übernahme von Risiken bewegt. Dies erhöht wiederum das Risiko des Eintritts einer Krise.

Die konventionelle Sichtweise staatlicher Garantien ist in zweierlei Hinsicht unbefriedigend. Zum einen ist die Reaktion der geschützten Banken in Form einer Risikoerhöhung keineswegs zwingend. Zum anderen wird nicht bedacht, dass die Garantien nicht nur die Bank selbst betreffen, sondern über die Interaktionen zwischen den Banken auch die Wettbewerberbanken der geschützten Banken. Der zuletzt genannte Punkt kommt dem in der politischen Diskussion vorgebrachten Argument über Wettbewerbsverzerrungen durch öffentliche Banken am nächsten. Im Folgenden werden beide Punkte genauer betrachtet.

Risikoverhalten geschützter Banken

Dem beschriebenen „Marktdisziplinierungseffekt“ steht ein zweiter Effekt gegenüber, der in die entgegengesetzte Richtung läuft. Wird eine Bank durch eine Garantie geschützt, so kann man dies als implizite Subventionierung ihres Geschäfts interpretieren. Die Bank kann sich nun zu günstigeren Konditionen refinanzieren (zum Beispiel aufgrund besserer Beurteilungen ihrer Kreditwürdigkeit durch Rating-Agenturen). Hierdurch wird das Bankgeschäft für sie profitabler. Dies erhöht die Margen der Bank und damit auch ihren so genannten charter value (den Gegenwartswert der zukünftigen Gewinne). Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass die Bank im Insolvenzfall mehr zu verlieren hat, weil sie ja dann weder die heutigen noch die zukünftigen Margen erwirtschaften kann. Aus diesem Grund führen höhere Margen in der Theorie zu einer geringeren Risikoneigung bei den Banken.

Möglicherweise vermeidet eine geschützte Bank eine übermäßige Risikoübernahme auch, um das Privileg des Schutzes nicht aufs Spiel zu setzen. Der risikosenkende Effekt staatlicher Garantien steht dem oben beschriebenen risikosteigernden Effekt gegenüber. Eine eindeutige Aussage über den Zusammenhang zwischen Staatsgarantien und Risikoübernahme lässt sich aus Sicht der Theorie also nicht treffen. Welcher Effekt überwiegt, ist eine empirische Frage.

Risikoverhalten der Wettbewerberbanken

Traditionell argumentierende Ökonomen vernachlässigen außerdem, dass die geschützten Banken im Wettbewerb mit anderen Banken interagieren. Hieraus ergeben sich weitere Effekte staatlicher Garantien. Wenn das Bankgeschäft für geschützte Banken profitabler wird, so lohnt es sich für sie zu expandieren. Das führt zu einer Intensivierung des Wettbewerbs um Einlagen und Kreditkunden. Dadurch steigen die Einlagenzinsen, und die Kreditzinsen sinken. Die Margen der anderen Banken, die nicht auf staatliche Unterstützung zählen können, verringern sich. Aufgrund des Absinkens der Margen und, damit verbunden, der charter values, haben diese Banken geringere Anreize, bei ihrer Kreditpolitik vorsichtig zu sein – sie haben nicht so viel zu verlieren. Gleichzeitig wird das Geschäft weniger profitabel, sodass sie ihre Geschäftsvolumina verringern. Staatsgarantien gegenüber einigen Banken (zum Beispiel öffentlichen Banken oder großen Banken) erhöhen also tendenziell die Risikoneigung bei den übrigen Banken und gefährden so die Stabilität des Bankensystems.

Empirische Evidenz

Die oben beschriebenen Effekte lassen sich empirisch belegen. Dazu hat eine Forschergruppe am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern mit individuellen Bankbilanzdaten aus dreißig OECD-Ländern für das Jahr 2003 eine mikroökonometrische Studie durchgeführt. Die Studie versucht zu ermitteln, wie das Risikoverhalten einer Bank von der Aussicht, dass sie selbst vom Staat geschützt wird, und von der Aussicht, dass andere Banken vom Staat geschützt werden, beeinflusst wird.

Das Risikoverhalten wird durch verschiedene Bilanzkennzahlen gemessen, beispielsweise durch den Anteil der Problemkredite an der Bilanzsumme oder durch die Eigenkapitalausstattung. Unterschiede in diesen Risikomaßen werden auf Unterschiede in den Unterstützungswahrscheinlichkeiten zurückgeführt. Um die Analyse von anderen Effekten zu bereinigen, betrachtet man Banken, die bezüglich verschiedener Charakteristika ähnlich sind (beispielsweise hinsichtlich ihrer Größe oder der Konzentration in ihrem Heimatmarkt), sich aber in der Unterstützungswahrscheinlichkeit unterscheiden. Ähnlich verfährt man bei der Bestimmung des Effektes des Schutzes für andere Banken.

Wie werden nun aber diese Unterstützungswahrscheinlichkeiten bestimmt? Explizite Garantien, wie sie bei öffentlichen Banken bestehen, lassen sich in der Regel aus der Eigentümerstruktur der Banken ableiten. Implizite Garantien lassen sich hingegen nicht unmittelbar beobachten. Die Forscher nutzen den Umstand, dass eine der großen Ratingagenturen (Fitch/IBCA) so genannte „Support-Ratings“ veröffentlicht. Diese geben auf einer Skala von 1 bis 5 an, für wie wahrscheinlich die Ratingagentur eine Unterstützung der Bank hält, sollte diese in eine Problemsituation geraten. Die Ratings können in Unterstützungswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Banken übersetzt werden.

Als Maß für die Aussicht, dass andere Banken vom Staat geschützt werden, dient ein mit Marktanteilen gewichteter Durchschnitt dieser individuellen Unterstützungswahrscheinlichkeiten für das betreffende Land. Für Deutschland ergibt sich hier ein Wert von 77 Prozent. Grob gesprochen heißt das, dass die Rating-Agentur bei 77 Prozent der Banken (gemessen an der Bilanzsumme) mit einer Unterstützung rechnet, nicht nur bei den 48 Prozent, die auf die öffentlichen Banken (im Wesentlichen Sparkassen und Landesbanken) entfallen. Die Differenz erklärt sich aus vermuteten impliziten Garantien, zum Beispiel der Erwartung, dass der Staat die Deutsche Bank nicht untergehen lassen wird. In den USA beträgt der entsprechende Wert nur 37 Prozent. Dieser ergibt sich vollständig aus impliziten Garantien.

Die ökonometrische Analyse zeigt, dass staatliche Garantien – entgegen der herkömmlichen Meinung – bei den geschützten Banken keine Risikoerhöhung zur Folge haben. Ganz im Gegenteil deuten die Ergebnisse sogar eher darauf hin, dass geschützte Banken weniger Risiken übernehmen. Andererseits scheinen die Garantien bei den übrigen Banken durchaus zu einer Risikoerhöhung zu führen. Je höher die durchschnittliche Unterstützungswahrscheinlichkeit in einem Land ist, desto mehr Risiken übernehmen die Banken in diesem Land.

Politische Implikationen

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Staatsgarantien tatsächlich die Stabilität des Bankensystems beeinträchtigen können, indem sie die Risikoübernahme der Banken erhöhen. Der Grund liegt allerdings nicht in einer Risikoerhöhung der geschützten Banken. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Wettbewerberbanken der geschützten Banken durch den verschärften Wettbewerb dazu getrieben werden, ihr Risiko zu erhöhen.

Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die Effekte nicht allein von expliziten Garantien (wie bei öffentlichen Banken) ausgehen. Implizite Garantien gegenüber Banken, die beispielsweise „too big to fail“ sind, können dieselben Auswirkungen haben. Insofern beschreiben die Klagen der privaten deutschen Banken – und insbesondere der Großbanken – nur die halbe Wahrheit. Zwar scheint es zuzutreffen, dass Garantien gegenüber öffentlichen Banken zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, doch gibt es ähnliche Wettbewerbsverzerrungen auch durch die Präsenz großer Bankkonglomerate. Im Gegensatz zu expliziten Garantien lassen sich implizite Garantien jedoch nicht durch Gesetzesänderungen beseitigen.

Originalveröffentlichungen

1.
R. Gropp, H. Hakenes, I. Schnabel:
Competition, Risk-Shifting, and Bail-out Policies.
Working Paper, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn, 2006.
2.
H. Hakenes, I. Schnabel:
Banks without Parachutes – Competitive Effects of Government Bail-out Policies.
Preprint No. 2004-12, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn, 2004.
Zur Redakteursansicht